Dienstag, 16. April 2024

s.kalationen

meine kollegin s. ist eine mehr als vorbildliche arbeitskraft. sie strahlt 24 stunden am tag vor eifer wie ein lecker uranbehälter, sitzt bis mitternacht im büro und hat stets eine meinung zu allem, welche sie gern öffentlich auf sämtlichen inhouse- und marketingkanälen kundtut. man weiß nicht, was genau sie eigentlich den ganzen tag macht, aber ihr profil in teams steht immer auf "beschäftigt". 

s. ist darüber hinaus meine direkte vorgesetzte. sie wäre prinzipiell die richtige, um mich ein wenig einzuarbeiten. aber dafür hat sie keine zeit. sehr oft habe ich fragen, die sie am besten beantworten könnte. aber in teams steht die ampel bei ihr immer auf rot. oft frage ich trotzdem, weil es einfach nicht anders geht. entweder bekomme ich dann keine antwort, oder aber so dermaßen auf den letzten drücker, dass ich - handlungsunfähig wartend -  bereits tausend stresstode gestorben bin. am ende kann ich meine arbeit so nicht ordentlich machen, weil die sache dann in aller eile schnell hingeklatscht werden muss.

in meiner not frage ich manchmal andere. mache ich es dann so wie mir von diesen geraten wurde, ist s. selten amused und meckert mich an. sie möchte, dass es bis ins detail so gemacht wird wie sie es sich vorstellt, auch wenn sie diese erwartungen selten kommuniziert. auch für den chef sehen meine halbgaren, wenig informationsbasierten last-minute-würfe sicherlich so aus, als wäre ich unfähig.

abgesehen davon hatte ich zuletzt den eindruck, dass s. mich bei cheffe schlechtmacht. so leistete der sich zweimal spitze bemerkungen, die auf unzufriedenheit schließen lassen. so genau kann man es allerdings nicht sagen, da sich cheffe tendenziell geheimnisvoll-kryptisch ausdrückt und es gern bei andeutungen belässt.

"pass bloß auf", sagt der luxus-mann. "du bist in der probezeit, die können dich ganz einfach feuern."
"weißte was, ich glaube, ich wäre fast erleichtert, wenns so wäre", erwidere ich. "dann wars das halt. dann fange ich eben wieder von vorne an. und wenn ich mich erstmal bei budni an die kasse setze oder bei edeka regale auffülle."
"schön blöd", findet der luxus-mann. aber der hört schließlich auch in drei jahren auf zu arbeiten und muss sich um gar nichts mehr sorgen machen.

wie hoch die anspannung ist, kann ich an meiner inzwischen sieben wochen währenden schlaflosigkeit ablesen. von sonntag bis donnerstag tue ich kein auge zu. nur am wochenende lässt mich der kopf ein wenig ausruhen.

innerlich kann ich mich zwischen flucht und amoklauf nicht recht entscheiden. zugleich würde ich als friedfertiges schaf weitere eskalationen gern vermeiden. dieser job scheint jedenfalls meine persönliche nahost-krise zu sein.

Sonntag, 14. April 2024

händchenhalten

der luxus-mann und ich haben ein feier-wochenende hinter uns. wir hatten beide geburtstag, wobei mein geburtstag gleichzeitig unser kennenlerntag ist. acht jahre sind es jetzt, und alles in allem ist unser miteinander über weite strecken wunderbar - bzw. es wird noch immer besser. 

heute schlendern wir über einen flohmarkt, als ich meine hand in die luxus-jackentasche schiebe. 
"willst du mir nen hustenbonsche klauen?" fragt mich mein mann misstrauisch wie es seine art ist. 
"nö, aber meine hand ist so kalt." 
"soll ich die vielleicht ein bisschen in meine nehmen?" fragt der luxus-mann da fast schüchtern. 

ich muss grinsen, denn ähnlich wie umarmungen hasst der luxus-mann händchenhalten und andere "schleimige" gesten. aber er fragt, weil er mich liebt und möchte, dass es mir gutgeht. also lasse ich meine kalten finger in seine wie immer warme hand wandern - und genieße es, ein wenig gehalten zu werden.

beamtenhände, habe ich die unglaublich weichen luxus-hände einst einmal genannt, auch wenn der luxus-mann gar kein staatsdiener ist. 
"früher waren meine hände immer ganz rau und hart", erzählte er mir daraufhin. 
"weil du dauergeil warst und ständig gewichst hast", kicherte ich. 
der luxus-mann kniff mich in die seite: "von der arbeit auf dem hof meiner eltern, du doofe frau!"

später an einer ampel nutze ich den moment der rotphase und schlinge meine arme um die luxus-taille. "ich möchte, dass das nicht aufhört. und ich möchte bitte die zeit zurückdrehen auf freitag und das wochenende noch mal durchmachen!" "ja, das war echt richtig schön", antwortet der luxus-mann."aber nichts ist für ewig, sonst wär´s auch leider langweilig. trotzdem, mich gruselt es auch schon vor morgen, wenn ich wieder in das beknackte büro muss."

ich lächle ihm zu und spüre: dieser mensch ist ein echter anker zwischen mir und der welt, ein katalysator inmitten all der unstimmigkeiten von kackjob, suboptimaler wohnsituation und nervigen krankheiten. auch wenn wir uns nicht immer hundertprozentig verstehen und manchmal auch voneinander genervt sind, gibt es doch vieles, worin wir uns ähnlich sind - was bewirkt, dass ich mich insgesamt nur noch selten einsam fühle. 

seit dem objektiven unfall und dem gesundlichkeiten verfall meines vaters ist mir jedoch mehr als bewusst, wie fragil liebe und das menschliche leben an sich ist. ich möchte das, was wir haben, unbedingt auskosten. verschwenderisch lieben, um am ende sagen zu können: das hat sich gelohnt, mit jedem einzelnen atemzug. 

oft muss ich dabei an früher denken, wie ich nachts neben dem objekt lag und bewusst wachblieb, weil ich diesen mann so lange wie möglich ansehen, spüren und riechen wollte - so, als ahnte etwas in mir, dass unsere stunden bereits gezählt waren. 

heute weiß ich, dass all unsere stunden immer gezählt sind und ihre dauer allein vom zufall regiert wird. in diesem universellen chaos liegen tragik wie schönheit gleichermaßen, und ich bete dafür, am ende beides ertragen zu können.

Samstag, 6. April 2024

cannabislegalisierung absurd

dürfen wir jetzt alle kiffen? diese frage lässt sich mit einem eindeutigen jein beantworten.

du darfst kiffen:

- wenn du volljährig bist. 

- wenn du dich an die mengenbegrenzung hältst.

- wenn du den stoff in einem legalen laden bezogen hast. sowas gibt es nur eben leider nicht. legale läden sollen ab nächstes jahr kommen. also vielleicht. eventuell. es muss dazu natürlich erstmal ein großes, fettes bürokratiemonster geschaffen werden. ich rechne allerdings tatsächlich noch vor 2050 mit den ersten cannabis-shops in deutschland. dann kann man sich das eigene aussterben noch schönkiffen.

- wenn du in einem erlaubten bereich kiffst. in meinem stadtteil bspw. ist kiffen auf rund 95 % der fläche untersagt. man kann allenfalls in die tote reiche-pisser-gegend nebenan gehen, sich dort irgendwo mit einem klappstuhl vor eine der villen setzen und auf einen suv aschen. wäre ein experiment wert.

man kann aber auch einfach auf all die einschränkungen scheißen. gerade in kackstadt kann man sich in 99 % der fälle drauf verlassen, dass vebote ohnehin nicht kontrolliert werden. hat man schließlich in corona-zeiten gesehen: maskentragen war eine komplett freiwillige sache hier. auch sonst werden ordnungswidrigkeiten wie falschparken, mit-120-durch-die-gegend-rasen oder ruhestörung eigentlich nie geahndet, fachkräftemangel bei der polizei sei dank. es muss schon viel blut fließen oder ein toter herumliegen, damit da mal bewegung in einen uniformträger kommt.

ich für meinen teil habe noch glück: ein paar straßen weiter ist ein friedhof, der kein rot markiertes gebiet auf der bubatzkarte darstellt. vielleicht sollte ich dort später zwecks renten-zusatzverdienst einen cannabis-shop eröffnen. hilft sicherlich auch beim trauern - oder wenn man eine kleine seance abhalten möchte und sich spirituell ins richtige setting bringen will. eigentlich eine sehr geile geschäftsidee.

Samstag, 30. März 2024

weltretten durch flaschenfesseln

die eu hat beschlossen, umweltschutz endlich hardcore voranzutreiben. dafür hat sie etwas erfunden, was all unsere probleme in sachen plastikmüll sofort und radikal lösen wird: die verschlüsse von plastikflaschen sind jetzt durch eine kleine flaschenfessel unabreißbar mit der jeweiligen öffnung verdengelt. 

bestimmt ist es ihnen auch schon immer so ergangen: man öffnet zum beispiel beim spazierengehen so eine kleine erfrischende cola, und schwupps, manövriert sich der deckel zielsicher in die nächste hecke. auch in der wohnung haben alle deckel den unwiderstehlichen drang, sofort unter ein regal zu rollen, sich dort über die kommenden jahrhunderte klammheimlich zu zersetzen und sich dann als mikroplastik ins umfeld zu verflüchtigen. 

die mikroplastikbelastung der umwelt durch verschlussdeckel beträgt mindestens 90 prozent. vergessen sie plastiktüten, kunststoffe in bekleidung oder reifenabrieb von tonnenschweren suvs. vergessen sie tanker, die ganze mülldeponien ins meer kippen. all dies sind marginalitäten, wenn man mal verschlussdeckel betrachtet!

schauen sie sich diese verschlussdeckel nur an: 100 prozent reines plastik. das ist so pfui deibel wie putin, trump und hitler zusammen! und dann sind diese dinger auch noch rund, was ihnen maximale beschleunigung auf der flucht vor der zugehörigen flasche ermöglicht. studien haben nachgewiesen, dass sich ein rollender deckel schneller als max verstappen bei der formel 1 bewegt. gleichzeitig kann er sich wie bösartiger dämon vollständig unsichtbar machen.

mit der flaschenfessel hat die eu einer großer umweltkatastrophe mutig und rigide einen riegel vorgeschoben. ab sofort leben wir in einer besseren, verschlussdeckelmikroplastikfreien welt. und geben sie´s zu, nur das haben sie schon immer gewollt.

Mittwoch, 27. März 2024

daily jobwahnsinn

ich arbeite nun bereits einige wochen im unorganisiertesten unternehmen der welt. der alltag ist geprägt durch stundenlanges suchen wild in willkürlich bezeichneten ordnern auf unterschiedlichen servern abgelegter dokumente. hinzu kommen das fehlen jeglicher strategie, sinn- und endlose meetings sowie rohe chefgewalt bei beständig proklamierter gleichberechtigung. dabei soll man natürlich permanent freudig erregt springen und bei sämtlichen bis spätabends gehenden veranstaltungen und anderen dummschwätz-zusammenkünften gesicht zeigen (es ist immer freiwillig, daher sind es natürlich auch keine überstunden, aber WEHE du machst es nicht.)

kurzum, es ist ein alptraum. so verwirrt, alleingelassen und wütend habe ich mich selbst in meinem grauenvollen volontariat vor 16 jahren nur zeitweise gefühlt. 

mein alltag läuft in etwa so ab: ich bekomme eine aufgabe zugerufen und stelle erstmal fest, dass mir zugang/berechtigung/passwort fehlt. ich verbringe den halben tag damit, kollegen/der it hinterherzurennen, um an die nötigen daten zu kommen. dann mache ich mich an die aufgabe, die ich in der regel so noch nie gemacht habe. anleitungen gibt es in unserem unternehmen nicht. fragt man zwei leute, erhält man zwei verschiedene auskünfte. jeder macht seinen kram irgendwie, und irgendwie funktioniert es wohl auch, so für jeden allein. die häufigste antwort auf eine frage lautet: ja, da musst du mal schauen. sprich: viel spaß beim raten.

also mache ich meine aufgabe ebenfalls irgendwie und bitte jemanden, noch mal drüberzuschauen, bevor wir uns bspw. in den social media wegen meiner unkenntnis bis auf die knochen blamieren. in der regel kommt die rückmeldung erst dann, wenn es schon zu spät ist, oder sie bleibt ganz aus.

ich habe noch nie in meinem arbeitsleben so wenig gebacken bekommen. das macht mich vollkommen wuschig. auch wenn ich einen job kacke finde - ein bisschen ehrgeiz habe ich ja doch. ich muss nicht brillieren, aber blamieren will ich mich eben auch nicht unbedingt. es gibt auch zeiten, in denen ich einfach so dasitze und mich tatenlos langweile. zuständigkeiten gibt es nicht, einen teil meiner zeit verdödle ich sinnfrei, weil ich nicht überall proaktiv meine hilfe anbieten kann.

ich hatte schon viele arbeitgeber, bei denen der job die reinste qual war und tägliche selbstvergewaltigung erforderte. aber selbst in den miesesten agenturen hatte ich in der regel wenigstens noch ein angenehmes team, mit dem auch mal lachen konnte. hier arbeitet jeder verbissen, ohne leichtigkeit, ohne sich selbst oder den job mal aufs korn zu nehmen. das gros gehört zum typ übereifriger selbstverwirklicher, der sich pausenlos engagiert und bei jeder aufgabe "ich ich ich" ruft. grundsätzlich sind alle bis zum erbrechen pc, übermäßig höflich und furchtbar ernsthaft. jeder übt dabei durch seinen aktionismus subtilen druck auf den rest aus. komme ich überhaupt nicht mit klar. wenn meine kollegin montags reinspaziert und stolz verkündet: "ich bin heute open end da!" könnte ich sie steinigen für ihre dämliche wichtigtuerei.

von cheffe hört und sieht man oft tagelang nichts. manchmal kommt er in meetings hinzu und erteilt in seiner autistischen art und weise anweisungen, die selten ein grund zur freude sind. ich sitze in einem büro gegenüber von ihm, aber er hat es noch nicht geschafft, einen persönlichen satz an mich zu richten oder mich mal zu fragen, wie es mir als neuankömmling so ergeht. 

ich hatte mich eigentlich sehr auf den job gefreut, weil ich zum ersten mal in meinem leben einen super korrekten arbeitsvertrag habe, ein auf den ersten blick sehr anständiges gehalt und lauter extra-gedöns wie fahrkarte und altersvorsorge. das wirkte auf mich, als hätte ich endlich mal einen arbeitgeber erwischt, der zumindest grobe peilung von dem hat, was er tut und sich nicht permanent selbst geschäftsschädigt. aber irrtum. das war ein move vom regen in den gewitter-hagelsturm.

mittlerweile ist für mich klar, dass ich mich weiterbewerben werde. ein höflichkeitsjahr muss ich wohl für den lebenslauf abreißen, aber im herbst spätestens geht die jobsuche wieder los. hurrah, ich kotze.