Montag, 16. Juni 2025

aushalten

wieder mal bewerbungsgespräch, hoffnungsvoll, drei runden geschafft. termine, zeit, arbeit investiert. es aus hunderten unter die ersten drei geschafft.

aber dann doch wieder nix. silver-girl forever.

es ist wie ein böser fluch, der auf mir ruht. ich möchte einfach nur aufhören, aufgeben, sterben.

es stimmt nicht, dass jeder seines eigenen glückes schmied ist. das glück muss auch ein kleines stück zu dir kommen. so wie du auch keine freundschaft aufbauen kannst, wenn vom anderen nichts zurückkommt.

inzwischen fühle ich mich wie gesellschaftlicher müll. meide meine sorgen als gesprächsthema, weil ich mich so sehr für mich schäme. und weil ich merke, wie sich andere für mich schämen und sich fernhalten - oder aber mich als negativkopie sehen: gottseidank bin ich nicht so.

auch in anderen lebensbereichen nichts gutes. mein vater, dem es immer schlechter geht. meine wohnung, in der ich mehr nicht sein mag. meine gesundheit, die eher eine aneinanderreihung von krankheiten ist.

alles ist nur noch unter den mittelschweren geschützen der pharmazeutischen industrie auszuhalten. 

sollte leben aber nicht zumindest zeitweise ein wenig mehr als nur aushalten sein? 

 

Dienstag, 10. Juni 2025

der schizo-nachbar

ich habe offiziell einen an der marmel. womit ich mich m.e. durch wenig von anderen unterscheide, weil die meisten menschen anzeichen psychischer erkrankungen zeigen, aber nicht zum arzt gehen - insbesondere männer. kurzum, es gibt für mich keinen grund, andere für ihr irrsein zu beargwöhnen oder zu verurteilen. aber hin und wieder ergreift mich dann doch ein wenig panik.

zur zeit, beispielsweise. seit mai habe ich einen neuen direkten nachbarn. männlich, jung und auf den ersten blick ganz ok. beruflich macht der wohl irgendwas im homeoffice, dachte ich, weil er den ganzen tag zuhause ist und man ihn dauernd reden hört. vielleicht tele-marketing oder so. nervig, aber nunja.

irgendwann dachte ich: nee, der telefoniert gar nicht. weil beim telefonieren gibt es ja mal pausen. oder, im falle einer videokonferenz, auch mal andere stimmen. ich aber höre den nachbarn kontinuierlich über stunden, ohne jegliche unterbrechung. mal lauter, mal leiser. zwischendurch singt er ganz schauerlich, gerne auch mal nach mitternacht.  

einmal nahm ich ein paket für ihn an, das er erst eine geschlagene woche später abholte. er konnte sich dabei nicht klar artikulieren und schaute mich an wie hannibal lecter persönlich. irgendwas stimmt nicht mit dem, dachte ich mir spontan. seltsam bis gruselig ist der, gefühlt.

ich unterhielt mich darüber mit einer befreundeten nachbarin. diese erzählte mir, sie habe ihn neulich beim aldi-markt getroffen. da stand er ganz allein auf dem parkplatz und habe mit sich selbst geredet. er wirkte unansprechbar und völlig neben sich. ob der wohl psychotisch sei? 

wir googleten den namen des nachbarn, just for fun. und stießen dabei auf diverse social media-accounts. dort gibt er wirres zeug von sich. unter anderem auch, dass er mal in der klapse war wegen schizophrenie. dass das aber alles quatsch sei, alles nur böse ärzte, die ihm schlechtes wollten. in wirklichkeit sei er nur anders wegen seines bombastisch, unvollstellbar und alle dimensionen sprengend hohen iqs. weshalb auch das auge der welt auf ihm ruhe, so im übertragenen sinne. in den videos zeigt er deshalb getrackte kommentare und insights - zum beweis, dass ihn alle beobachten, bewundern oder beneiden.

auch wenn ich persönlich keine besonderen sympathien für die klapse hege, hatte ich nach einigen videos den eindruck: wenn einer da hingehört, dann der. denn manche der videos sind auch aggressiv und beleidigend, vor allem gegen ärzte, universitäten und frauen. 

es liegt also eine gewisse schwer einschätzbare bedrohungslage in der luft. es lässt sich erstens nicht sagen, ob der nachbar bei derart wenig krankheitsbewusstsein eventuell selbstgefährdet ist. was, wenn ihn irgendwelche stimmen einflüstern, er solle sich umbringen? oder aber, was wenn sie ihm sagen, dass er andere, die ihn ja verfolgen, töten müsse? wir gruselten uns sehr. der vorfall am hamburger hauptbahnhof liegt gerade wenige wochen zurück. zugleich läuft hier ein prozess wegen mordes - ein psychotischer mann hatte seiner mutter mit einer harpune in den kopf geschossen. die einzige frage lautet also: who will be next?!

im internet fanden wir unzählige hilferufe wegen psychotischer nachbarn, die nachts im treppenhaus herumschreien, wohnungstüren eintreten oder sonstige unangenehme zwischenfälle verursachen. dagegen machen kann man als mieter allerdings nichts - außer die polizei rufen. dann werden die personen unter umständen in die klapse eingewiesen - und nach ein paar tagen oder wochen meist wieder entlassen, weil dann die medikamente anschlagen. danach beginnt das ganze spiel von vorne. und da die betroffenen ja nicht doof sind, wissen sie in der regel auch, wem sie den klapsen-ausflug zu verdanken haben - was dann gerne mal gezielten terror nach sich zieht. scheiße deluxe also.

wir telefonierten zunächst mit dem vermieter und fragten um rat. der sagte, wir könnten ja ein lärmprotokoll anfertigen, dann würden sie den nachbarn wegen lärmbelästigung anschreiben. ich sagte, dass es uns nicht um den lärm ginge (der ist zwar nervig, aber nicht tödlich), sondern dass wir hier lediglich sicher und ohne amoklauf im treppenhaus wohnen möchten. der vermieter konnte und wollte aber nicht helfen.

rat von anderer, fachkundigerer stelle war also angesagt. ich rief beim sozialpsychiatrischen dienst an. dort referierte eine dame lang und breit über das selbstbestimmungsrecht psychotischer menschen. ich sagte, gut, aber ich hätte ja wohl auch ein selbstbestimmungsrecht und möchte nicht wegen einem potenziell gewalttätigen therapieverweigerer in angst und schrecken leben müssen. die dame meinte, ich könne ja mal die polizei anrufen und die sache erzählen. denn wenn dann "was passiert", hätten die wenigstens schon mal den namen gehört. 

ich fragte, ob das bedeute, dass sie nicht ausschließen würde, dass was passiert. sie meinte, nein, das könne sie mir natürlich nicht garantieren. nur wenige psychotiker würden gewalttätig, aber in manchen fällen halt doch. wie ich mich denn dann verhalten solle, fragte ich. da meinte die dame, ich könne den nachbarn ja mal ansprechen und mich mit ihm unterhalten, wie es ihm so ginge. ich sagte, was für eine spitzenidee, dann fühlt der sich durch mich vielleicht getriggert und weiß ganz genau, dass ich denke, dass er nicht alle tassen im schrank hat! ob sie noch andere, sinnvollere ratschläge parat habe? die dame antwortete, wir sollten halt alle etwas vorsichtiger sein. vor allem im treppenhaus, weil es da ja nur einen fluchtweg gebe. 

unendlich beruhigt legte ich schließlich auf. 

auch dieser fall zeigt wieder einmal: psychiatrische versorgung in deutschland ist derart hochschwellig, dass man sie als quasi nicht zugänglich bezeichnen kann. weder betroffene noch potenzielle künftige opfer von psychisch assoziierter gewalt werden geschützt. warum gibt es keine aufsuchenden hilfen für solche fälle? ich halte auch nichts von zwangseinweisung oder gar zwangsmedikation. aber man sollte patienten mit bestimmten erkrankungen einfach auf dem schirm haben. ihnen eine regelmäßige psychotherapeutische anbindung bieten und sie ggf. auch dazu verpflichten, sich in regelmäßigen abständen bei einer beratungsstelle zu melden, damit man ein gespräch führen und sehen kann, ob es demjenigen auch gut geht. 

für mich hat die geschichte folgen - auch gesundheitlich. ich schlafe wahnsinnig schlecht, fühle mich in meiner wohnung zutiefst unwohl und vermeide jeden unnötigen gang zum briefkasten oder zur mülltonne. da ich den schizo-nachbarn tag und nacht höre, kann ich mich in diesem haus überhaupt nicht mehr entspannen. ich habe ständig magenschmerzen, die ich zunächst für nachwirkungen des norovirus hielt. aber sie bessern sich, wenn ich nicht zuhause bin.  

wer gibt mir meine lebensqualität zurück?  ja, genau: nur ich selbst kann das. niemand wird mir helfen - keine ärzte, keine polizei, kein vermieter, keine staatliche institution. ich überlege auszuziehen, habe aber dank meiner beruflichen situation derzeit keine finanziellen mittel dazu. aber ich fürchte, das wird der der nächste schritt werden, sobald ich wieder im job bin. 

Mittwoch, 4. Juni 2025

how to lose a week and 3 pounds

der luxus-mann und ich treffen uns am vergangenen montagabend, um gemeinsam das relegationsspiel zu schauen. ich trinke dabei eine cola, die mir überraschenderweise übelkeit verursacht.

"du samma, wie lange stand diese cola schon offen im kühlschrank?" frage ich den luxus-mann.
"weiß nicht, warum?"
"irgendwie ist mir jetzt schlecht. gib´s zu, du hast da schon die komplette woche draus getrunken und dabei in die flasche gesabbert."
"quatsch. die ist vielleicht zwei tage alt. aber kipp die ruhig mal vorsichtshalber weg, wenn du meinst!" 

kurz vor mitternacht legen wir uns schlafen. die cola rumort noch immer in meinem magen, aber ich schlafe relativ schnell ein.

gegen halb zwei werde ich wieder wach, denn jetzt habe ich richtig heftigen brechreiz. als ich mich aus den kissen hochrapple, bekomme ich außerdem massive kreislaufprobleme. eiskalter schweiß schießt mir aus allen poren, bis mir das schlafshirt nass am rücken klebt. ich wecke den mann.

"mit mir stimmt was nicht", sage ich.
"das ist ja nix neues, dass mit dir was nicht stimmt", frotzelt der mann noch. doch da bin ich schon richtung bad unterwegs, um die kloschüssel zu umarmen.
 
der luxus-mann steht unter der tür und beobachtet mich kritisch.
"na, is besser jetzt, wo alles raus ist?"
"bisschen."
"das war ja heftig, kam das alles von der cola?"
"weiß nicht. cola ist jedenfalls nun keine mehr im magen."
 
ich putze zähne, wechsle noch das nassgeschwitze shirt und tappe dann taumelig ins bett zurück. rund eine halbe stunde später muss ich aber schon wieder erbrechen - und zwar noch heftiger als zuvor. insgesamt achtmal scheuchen mich üble kotzkrämpfe in den folgenden sechs stunden richtung schüssel. zwischendurch bekomme ich auch noch durchfall. am ende liege ich erschöpft auf dem vorleger und bin theoretisch bereit zu sterben - wenn nur mein magen endlich aufhört, in lichtgeschwindigkeit zu routieren und dabei schmerzhaft zu kontrahieren.

mit letzter kraft schaffe ich es, ins bett zu krabbeln. dann bin ich weg und wache erst am späten nachmittag wieder auf. zu meiner überraschung steckt der luxus-mann den kopf durch die tür und fragt, ob ich etwas trinken will. er habe kamillentee gekauft.

"ich dachte, du musst heute ins büro", sage ich schwach.
"nee, ich dachte, ich bleib mal besser hier, so mies wie es dir ging."
"süß von dir. ja, ich hab voll durst, ich nehm nen tee."

die meiste zeit döse ich vor mich hin und bekomme nicht viel mit. ab und an muss ich noch mal kotzen, aber es wird weniger. am dritten tag dann fühle mich dann ein wenig besser. weil ich nach schweiß und krankheit stinke und kotzflecken auf dem shirt habe, beschließe ich, eine dusche zu nehmen. danach habe ich wackelbeine, krieche zurück in die federn und verschlafe wieder den größten teil des rests des tages.
 
gestern schrieben wir tag sechs. zum ersten mal seit der großen kotzeritis war ich unterbrechungsfrei wach und fühlte mich auch nicht mehr die ganze zeit einer ohnmacht nahe. ich habe e-mails beantwortet, mich um einen friseurtermin bemüht und sogar einen text für einen kunden verfasst. ich glaube, es geht aufwärts. das darf es dann auch gern auf die waage, die noch immer drei minuspfunde anzeigt.
 

Sonntag, 25. Mai 2025

entlassen und verlassen

eine psychisch kranke frau sticht wahllos mehrere menschen am hauptbahnhof in hamburg nieder. inzwischen ist bekannt, dass die messerstecherin am tag vor ihrer tat aus der geschlossenen psychiatrie entlassen wurde - und keinen festen wohnsitz hatte. man nehme also eine labile person ohne schützenden rückzugsort, die in die öffentlichkeit gespült wird und dort - mit vermutlich psychotischem hintergrund - auf eine vielzahl von triggern trifft. vor allem beim unterlassen der medikamenteneinnahme (was bei aktuten psychosen gerne mal passiert) sind die folgen fast vorhersehbar.

ich erinnere mich noch gut an meinen eigenen kleinen fünftägigen psychiatrieausflug vor gut 11 jahren, den man alles in allem als unterlassene hilfeleistung zusammenfassen könnte: aggressive, unfreundliche und des deutschen nicht mächtige pflegekräfte, bis auf eine einzige stunde kunst keinerlei therapie - und lediglich zwei etwa 10-minütige gespräche mit ärzten, denen man überdeutlich anmerkte, dass sie null bock hatten und froh waren, dass ich sie belog und behauptete, ich hätte nach drei tagen überhaupt keine suizidabsichten mehr.

bei meiner entlassung hatte ich nichts an der hand - keinen medikamentenplan, keine ambulante therapeutische weiterbetreuung, keine adresse einer selbsthilfegruppe, keine tipps für den fall weiterer potenzieller krisen. ich war zwar froh, dem wahnsinn entkommen zu sein, aber auch komplett orientierungslos und alleine. alles, was ich damals wusste: im falle suizidaler absichten würde ich mich in keinem fall ein zweites mal auf ein stationäres psychiatrisches angebot einlassen. horror statt hilfe, das hatte ich schon in meinem eigenen kopf. dann lieber gleich schluss machen.

in meinen augen ist es kein wunder, dass dinge wie die messerstecherei am hamburger hauptbahnhof passieren. 

es ist jedoch nicht das problem fehlender polizeipräsenz oder lückenhafter sicherheit im öffentlichen raum. ursache ist der profunde mangel eines zielführenden, durchdachten und engmaschig ausgerichteten psychiatrischen angebots in diesem land. es ist das problem einer konstanten, sich verschlimmernden unterversorgung psychisch erkrankter - bei gleichzeitig zunehmender stigmatisierung durch den leistungsimpetus in einer kapitalistischen gesellschaft. ich könnte an dieser stelle die zwangssterilisierungsfantasien meiner ex-chefin wiedergeben, aber das kennen sie sowieso schon alles aus dem dritten reich.

für mich steht derweil fest: auch wenn wir künftig ganze hundertschaften an polizisten in unserem engen, stinkenden, verwarzten bahnhof positionieren: solche vorfälle können damit nicht ansatzweise verhindert werden. dieses ganze polizei- und sicherheitsaufgebot hat in wirklichkeit nur eine einzige funktion: die täuschung der bevölkerung, dass sich von staatlicher seite gekümmert würde. in wirklichkeit ist es das eingeständnis vollumfänglichen versagens unseres gesundheitssystems in psychiatrischen angelegenheiten. 


Donnerstag, 15. Mai 2025

leben und sterben mit adhs: nadja abd el farrag

vielleicht haben sie es mitbekommen, auch wenn sie so nicht promi-geil sind: vor kurzem verstarb hier nadja abd el farrag mit nur 60 jahren. was zu diesem frühen tod beitrug? vielleicht nicht nur leberzirrhose und organversagen, sondern auch toxische beziehungen, alkohol, armut - sowie eine disposition, die wahnsinnig empfindlich und gleichzeitig wahnsinnig empfänglich für alles mögliche (leider eben auch schlechtes) macht: adhs.

vieles, was nadja abd el farrag erlebt hat, kenne auch ich. zum beispiel die neigung, sich mit seinem adhs-bedingt kleinem selbstwertgefühl vermeintlich "starken" und "erfolgreichen" männern an den hals zu werfen und brav zu ihrem geschwafel zu nicken, weil man gerne geliebt werden würde. 

schwierigkeiten im beruf kenne ich ebenfalls zu genüge, und das meine ich nicht auf meine aktuelle situation bezogen. ich lasse mich zu gern in allenfalls mittelmäßigen jobs von miesen chefs kleinmachen und ausnutzen, immer in der hoffnung, irgendwie zu gefallen und endlich nicht mehr außenseiterin sein zu müssen - sondern geschätzt oder wenigstens ebenbürtig. nadja abd el farrag hat sich lange zeit in fragwürdigen shows von fragwürdigen leuten verheizen lassen, die ihrem image eher schadeten als nutzten - vermutlich aus einem ähnlich dringlichen wunsch nach anerkennung. sicherlich hat sie so zeitweise gut geld verdient, aber eben nur temporär und nicht in einem strukturierten, sicherheits- und sinnstiftendem arbeitsverhältnis. hinzu kam ihr schlechtes finanzmanagement. auch das ist nicht ungewöhnlich bei adhs. da hilft nicht immer ein schuldnerberater, weil es bei adhs auch viel um impulskontrolle geht. (dieser kelch ging glücklicherweise an mir vorbei.)

davon abgesehen habe auch ich ein nach wie vor riskantes konsumverhalten. manchmal erschrecke mich am ende eines tages, wenn mir auffällt, dass ich versehentlich psychopharmaka und schmerzmittel kombiniert und darauf vielleicht noch einen feierabenddrink gegossen habe. ob ich so bei meiner insgesamt eher schwachen gesundheit sehr viel länger als bis 60 lebe, ist fraglich.

ich erinnere mich noch gut, als mein chef im vorletzten job in den raum warf, die naddel sei ja so abgebrannt, ob man der nicht einen billo-job bei uns anbieten solle. telefonistin oder so, auf mindestlohn-basis. weil das ja irgendwie lustig wäre, wenn leute anrufen - und dann wäre da die alte suff-nudel vom bohlen an der strippe. mangels des bekannten fehlenden durchhaltevermögens der frau abd el farrag haben wir das nie näher in erwägung gezogen. dabei weiß ich heute, dass menschen mit adhs einfach nur die chance brauchen, etwas zu machen, was sie wirklich interessiert, damit sie am ball bleiben - und das ganze möglichst störungsfrei (wenig lärm, wenig ablenkung, wenig übertriebenes multitasking) und unter halbwegs menschenwürdigen bedingungen (ein bisschen wertschätzung, ein bisschen struktur und kein psychopathisches chef-verhalten). 

skurril finde ich, wie die medien jetzt über nadja abd el farrag berichten. plötzlich alle ganz seriös. nicht mehr nur auf skandal-hurerei und billiges clickbaiting aus. im gegenteil, man überbietet sich fast in ernsthaftigkeit und würdigkeit: eine feierliche mediale beerdigungszeremonie.

es wird nie mehr gelogen als auf beerdigungen. 

fakt ist, die versorgung neurodiverser und/oder psychisch kranker menschen ist bis heute unterirdisch - mit weiter absteigender tendenz. einen therapieplatz zu ergattern ist für kassenpatienten nahezu unmöglich. stattdessen wird man mit tabletten vollgestopft, teils ohne viel ahnung und rücksicht auf komorbiditäten - wie im fall meiner herzerkrankung. und ich frage mich, welcher arzt nadja abd el farrag allen ernstes ahds-medikamente verschrieb, wenn sie bekennenderweise ein alkoholproblem hatte? falls dem tatsächlich so war, müsste man so jemanden eigentlich wegen fahrlässigkeit verklagen.

fakt weiterhin ist, dass die gesellschaft nach wie vor stigmatisiert - nicht nur wegen der diagnose, die psychisch kranke haben, sondern auch wegen ihres wesens, das manchmal nicht ins enge gesellschaftliche korsett vermeintlicher normalität passt. man muss dafür mal nicht lallend oder schwankend aus dem rahmen fallen, es genügt schon, schnell und viel zu reden, zu still zu sein, zu zappelig zu wirken oder zu zurückhaltend - oder in der aufregung den faden zu verlieren. durchgefallen, unsouverän! oder bei frauen: hysterisch!

fakt ist ebenso, dass neurodiverse und/oder psychisch kranke überdurchschnittlich oft im beruf scheitern, nicht weil sie dumm oder unwillig wären, sondern weil die arbeitsbedingungen meist unflexibel und wenig erquicklich sind - sodass selbst "normale" sie nur ertragen, indem sie sich jeden tag total zusammenreißen und zwingen. und sich abends dann einen hinter die binde kippen (was ok ist, weil sie ja "normal" sind, dann ist das nur "genuss").

zwar gibt es neuerdings mehr aufmerksamkeit für neurodiverse menschen mit beispielsweise adhs oder autismus. also menschen, die als nicht ganz so schlimm gestört gelten. aber das ist allenfalls ein anfang. der im augenblick leider auch wieder zurückgedreht wird durch die aktuelle politik, die nichts anderes gelten lassen will als den total konformen leistungsmenschen. und die jeden, der ein wenig abseits dieser norm tickt, als lästigen kostenfaktor wertet - anstatt sich durch die aktive gestaltung einer neuen, modernen und digitalen arbeitswelt endlich dessen vorhandenes potenzial zunutze zu machen.

manchmal frage ich mich, wie leute über mich sprechen werden, wenn ich mal tot bin. so ganz ohne aufgesetzt-würdiges beerdigungssprech, weil ich ja kein promi bin. achja, die komische blogger-tante. ganz nett schreiben konnte die, aber hat auch nix geschafft im leben. ein psycho-wrack, hat alles mögliche in sich hineingestopft, gesoffen und rumgehurt, und dann ist ihr noch dieser kerl verunglückt, an dem sie so hing. tragisch, ja. natürlich war sie aber auch an allem selber schuld - wer studiert schon germanistik! die war vielleicht nicht total dumm, aber einfach nicht leistungsfähig - und schon gar nicht leistungswillig. so eine querulantin eben, die immer dachte, die gebratenen tauben fliegen ihr in den hals, wenn sie lange genug einen auf linksgrün-versifften gutmenschen macht.

whatever, ein glück, dass ich nicht in die zukunft schauen kann. und welch ein glück für nadja abd el farrag, dass sie sich um eine irdische zukunft in dieser verkorksten gesellschaft keinerlei sorgen mehr machen muss. ich wünsche ihr, dass es im jenseits kein musik von dieter bohlen gibt.

r.i.p.